Eine realistische Berechnung der Temperaturverteilung in Werkzeugen mit Heißkanal erfordert es, in einer Spritzgießsimulation neben den Werkzeugkomponenten alle Geometrien und Materialien des Heißkanals zu berücksichtigen. Denn nur der korrekt berechnete thermische Zustand der Kavität und des gesamten Werkzeugs ermöglicht eine wirklichkeitsgetreue rheologische Betrachtung des Spritzgießvorgangs und detaillierte Aussagen über die thermischen Wechselwirkungen im Werkzeug. Die vollständigen Heißkanalgeometrien sind jedoch nur selten zur Hand. Aus diesem Grund wird der Heißkanal in der Simulation meist komplett vernachlässigt und bestenfalls durch einen idealisierten Anguss ersetzt. Diese unzulässige Vereinfachung wirkt sich allerdings nicht nur auf die simulierte thermische Situation im Werkzeug aus, sie mindert auch den Wert der Vorhersage über Qualität und Eigenschaften des Formteils.
Keine verlässliche Vorhersage
Eine solche vollständige Vernachlässigung des Heißkanalsystems wäre nur unter der Annahme zulässig, der Heißkanal hätte keinen nennenswerten Einfluss auf die Werkzeugthermik, das Werkzeug würde also an keiner Stelle durch ihn aufgeheizt oder anderweitig beeinflusst. Außerdem müsste der Anwender davon ausgehen, dass im Schmelzekanal weder Druckverluste noch Schererwärmung auftreten, weshalb diese Effekte für die Berechnung nicht relevant wären.
Jeder Praktiker weiß aber, dass dies nicht der Fall ist und der Heißkanal, seine Komponenten und Regelung den realen Prozess und die Artikeleigenschaften wesentlich beeinflussen. Simulationen ohne genaue Berücksichtigung des Heißkanalsystems können daher keine realistischen Ergebnisse für Füllbild, Druckbedarf und Temperaturverteilung liefern – es werden immer signifikante Unterschiede zwischen Simulation und Realität auftreten, insbesondere hinsichtlich Nachdruckwirkung, Schließkraft, Kühlzeit sowie Schwindung und Verzug. Eine verlässliche Vorhersage zum Prozessverlauf und zur Bauteilqualität ist auf dieser Basis unmöglich.
Heißkanalhersteller stellen den genauen Aufbau ihrer Systeme – aus nachvollziehbaren Gründen – nicht detailliert als CAD-Datensatz zur Verfügung. Doch welche Möglichkeiten gibt es, auch ohne detaillierte Kenntnis der Heißkanalgeometrie die Ergebnisse der Spritzgießsimulation zu verbessern? Zwischen den beiden Extremen der vollständigen Berücksichtigung aller Komponenten und Materialien einerseits und der unzulässigen Vereinfachung durch einen idealisierten Anguss andererseits sind verschiedene Zwischenlösungen denkbar. So ist eine verbesserte Berechnung des Druckbedarfs bereits mit einer schnellen 3D-Strömungssimulation des adiabaten Schmelzekanals möglich; der Wärmeeintrag des Heißkanalsystems und sein Einfluss z. B. auf den Verzug des Kunststoffartikels lassen sich mit den standardmäßig verfügbaren Daten zum Heißkanalsystem und einer Sigmasoft-Multizyklusanalyse (Anbieter der Software: Sigma Engineering GmbH, Aachen) ebenfalls einfach abbilden, wie dieser Beitrag nachfolgend zeigt.
Die Frage nach dem Druckverlust
Oft verlangt eine bestimmte Anwendung eine schnelle und exakte Vorhersage des Druckbedarfs, z. B. um die mögliche Anzahl der Kavitäten oder die Größe der Spritzgießmaschine festlegen zu können. Während der Druckverlust der Kavitäten aus vorangegangenen Spritzgießsimulationen meist bekannt ist, stellt sich, abhängig vom gewählten Heißkanalsystem, häufig die Frage nach dem Gesamtdruckverlust. Der Heißkanalhersteller stellt in aller Regel den eigentlichen Schmelzekanal aus Verteiler und Düsen als CAD-Datensatz zur Verfügung (Bild 1). Betrachtet man diesen Schmelzekanal in der Simulation als adiabat, d.h. isoliert man ihn gegenüber dem Werkzeug virtuell, kann man auf einfache und schnelle Art die Aussagekraft der Simulation verbessern.